Der Taschenfeitlverein

Heutzutage kennt man eine Menge an Vereinen und Interessengemein-schaften die sich auf das Sammeln von Gegenständen konzentrieren und auf Tauschbörsen regelmäßig anwesend sind. Dieses Hobby erstreckt sich von Briefmarken, Münzen, Spielzeugeisenbahnen oder Sammeltassen bis hin zur Weihnachtsglocken. Die Sammelwut ist ungebrochen. Dass aber vor 120 Jahren Leipertitz dabei eine Vorreiterrolle spielte, ist niemanden mehr bewusst.

Unser Dorf war für eine intensive Geselligkeit bekannt. Davon zeugen eine umfangreiche Zahl von Vereinen und Gruppierungen. Turn-, Gesang-, Veteranenverein oder die Feuerwehr, das gab es in jeder Gemeinde, aber über eine solch ausgefallene Gruppierung wie den Taschenfeitlverein Leipertitz konnte kein anderes südmährisches Dorf aufwarten.

Für jeden Jungen war der Besitz eines Taschenmessers, eines Feitls, ein Schritt zum "Erwachsenwerden". Man fieberte dem Besitz des ersten Messers herbei, man sah was die älteren Kinder alles  machten. Meistens erhielten sie zum Trauben abschneiden ihr erstes Taschenmesser. (Leipertitz hatte in den Zeiten vor dem Auftreten der Reblaus viel größere Weinflächen, die old´n Biere, die alten Weinflächen oberhalb vom Ochsenberg, oder die Weingärten am Wehrwaldl bei den Quellen des Leipertitzer Baches, da wurde jede Hand gebraucht. Aber auch in der Zeit nach dem Ende der Reblausplage, man nahm nun die stark wurzelnden amerikanischen Unterlagen, halfen viele beim Ernten der Reben mit). Aber auch zum Schnitzen von Hölzern, fürs erste Pfeiferl im Frühling wenn der Saft in die Weiden, wir nannten diese Felber, stieg. Die besten standen am Leipertitzer Teich und Bach und am Paulowitzer Graben. Ein Messer wurde zum Schnürlschneiden gebraucht und für vieles mehr, ein Feitl war unentbehrlich ! Es stand auf der Wunschliste der Geschenke der jungen Knaben ganz oben.

Der Beginn der Weinlese, das Weimberlesen, wurde auf einen Mittwoch verlegt, denn dann hatten die Kinder Schulfrei und waren mit besonderer Freude dabei. Ein Feitl begleitete einen Mann das ganze Leben. Bei den Handwerkern  und  in  der  Landwirtschaft  war es  unentbehrlich,  man  hatte mehrere, man hatte sein Lieblingsfeitl das gut in der Hand lag, mit dem es sich gut Arbeiten ließ.

In den Leipertitzer Kellern wurde so manches diskutiert, so manches geplant und ausgeführt, man hatte im Winter Zeit, der Wein inspirierte.

Auch beim Dreschen oder bei den langen "Sitzungen" in den Gasthäusern kam man auf so manche Idee. Und so wurde im Jahre 1894 der Taschenfeitlverein Leipertitz, ein Kuriosum im Dorf und in ganz Südmähren, gegründet. In einer hiesigen Schreinerei wurde ein großer Taschenfeitl aus Holz hergestellt, in der Dorfschmiede bekam er seine Klinge und so wurde das überdimensionierte Vereinssymbol in der Mitte der Decke im Gasthaussaal angebracht. Im Hof wurde ein Fahnenmast errichtet. War die Fahne hochgezogen, fand eine Versammlung statt, eingeladen wurde nicht. Bei den Zusammenkünften mussten sich die Mitglieder mit "Sie" ansprechen, wer sich versprach musste 3 Kreuzer Strafe zahlen. Jeder musste in der rechten Hosentasche einen Taschenfeitl haben, der bei Aufforderung "Taschenfeitl raus" vorgezeigt werden sollte. Hatte man keinen bei sich oder war er unglücklicherweise in der linken Hosentasche, so musste man ebenfalls 3 Kreuzer zahlen.

Der an  Freude an Geselligkeit gegründeter Verein entwickelte sich zu einer Sammlervereinigung deren Mitglieder ausgefallene Feitl hatten, diese tauschten, an Interessierte verkauften oder weitergaben. Das Sammeln von ungewöhnlichen Formen oder aufwendig gearbeitete Feiteln, viele Mitglieder waren bemüht bei Reisen in der großen k.u.k. Donaumonarchie seltene Stücke zu erwerben, war reizvoll. Doch gab es, außer dem Sammeln, der Unterhaltung und der Sinn für Humor keine weiteren Vereinsziele sodass sich die Vereinigung nach einiger Zeit wieder auflöste. Aber so mancher fand viele Jahre später aus Opas Nachlass in den Schubladen in Werkstatt und Stall interessante Formen von Taschenmessern. So weiss man nun, dass der Großvater ein Mitglied im alten Leipertitzer Taschenfeitlverein von 1894 war.

 

(nach Aufzeichnungen von Leopold Braun, Haus Nr. 107, später Thaining)